Slow Fashion made in Berlin: Modedesignerin Paula Immich über kreative Freiheit und Nachhaltigkeit

In der heutigen Modeindustrie, wo der Sprint von Saison zu Saison das Tempo diktiert, bietet Slow Fashion einen dringend benötigten Kontrapunkt. Diese Philosophie steht nicht nur für eine umweltverträglichere Herstellung von Kleidung, sondern auch für soziale Gerechtigkeit und ökonomische Fairness im Produktionsprozess (Fletcher, 2014).

Kürzlich hatte ich das Vergnügen, mich mit Alien Spiller zu treffen. Sie hat ihren Master in Strategischem Nachhaltigkeitsmanagement abgeschlossen und bietet nun Unterstützung bei Entscheidungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit an – sei es für Unternehmen oder im persönlichen Leben. In unserem Gespräch ging es um nachhaltige Mode und die Werte, die mein Label prägen.

Für Paula geht es um mehr als einen Gegenpol zu Fast Fashion zu bilden; sie sieht Slow Fashion auch als eine Möglichkeit, die kreative Freiheit zurückzugewinnen, die im hektischen Rhythmus der Modeindustrie oft verloren geht.

Paula Immich

Paulas Kollektionsteile sind das Ergebnis experimenteller Herangehensweisen, inspiriert vom unkonventionellen Berliner Style bis hin zum sinnlichen Mittelmeer-Lifestyle. Und sie kreiert dies alles mit einem Augenmerk auf lokale Produktion und nachhaltige Materialien.

Im folgenden Interview erkunden wir, was Slow Fashion für Paula bedeutet, wie sie es schafft, Nachhaltigkeit und Ästhetik miteinander zu vereinen, und wie sie durch innovative Methoden wie „Made-to-Order“ den Druck der Überproduktion für ihr kleines Label mindert.

Alien Spiller (AS): Paula, dein Ansatz für „slow fashion made in Berlin“ hebt sich deutlich von dem klassischen Rhythmus der Modewelt ab. Könntest du uns näher erläutern, wie dieses Motto deinen Designansatz definiert?

Paula Immich (PI): Für mich bedeutet „slow fashion made in Berlin“ vor allem, dass ich mich bewusst von dem traditionellen Rhythmus der Fashion-Branche, geprägt durch saisonale Kollektionen und ständige Neulieferungen, abgrenze. In der Mode gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Kollektionen – sei es Spring/Summer-Kollektionen, Fall/Winter, Pre-Kollektionen, Cruise-Kollektionen oder Drops-Kollektionen. Diese kreative Fließbandarbeit stellt für Mikrolabels aufgrund begrenzter Ressourcen eine enorme Herausforderung dar.

Slow Fashion heißt für mich weiter, dass ich mich auf Experimente einlassen kann. Neue Schnitte, Passformen, Farben und unkonventionelle Materialkombinationen auszuprobieren, spielt eine entscheidende Rolle für mich. Es bedeutet auch, sich von der „immer mehr, immer schneller, immer weiter“-Mentalität zu lösen, was das Wachstum des Labels angeht. Hierbei entsteht jedoch ein Dilemma: Wenn Konsument:innen weniger kaufen, stellt sich die Frage, wie ein Label überleben kann. Es ist unglaublich schwierig, ein wirtschaftlich nachhaltiges Level zu erreichen und zu halten, von dem man gut leben kann. Die Herausforderung besteht im Grunde genommen darin, als Label erstmal existenzfähig zu bleiben.

Hierbei stoße ich außerdem auf das Problem der hohen Produktions-, Entwicklungs- und Materialkosten, wenn ich lokal produziere. Diese Kosten schlagen sich dann natürlich im Endpreis der Produkte nieder. Hinzu kommt die schiere Masse an Aufgaben, die man als Micro-Label zu bewältigen hat. Nur ein kleiner Teil der Arbeit dreht sich um den kreativen Prozess. Vieles geht um Marketing, Verkauf, Produktion, Sourcing, Buchhaltung etc.. Im Grunde genommen sind diese Aufgaben jede für sich ein eigener Beruf.

AS: Du schreibst auf deiner Website, du lässt dich vom Berlin-Style inspirieren. Was ist für dich der Berlin-Style und wie beeinflusst er dein Design?

PI: Der Berlin-Style bedeutet für mich, dass modisch jede und jeder machen kann, was sie oder er will, ohne Hemmungen. Ich finde diese Haltung gut, sie ist stark und eckig. Man wagt etwas, was nicht unbedingt als konventionell schön eingeordnet wird. Der Style ist eher Ausdruck der Persönlichkeit und nicht des sozialen Status.

AS: Kleidung stellt ja auch gewisse gesellschaftliche Kodierungen dar.

PI: Genau, und in Berlin gibt es eine hohe Toleranz für verschiedene gesellschaftliche Codes.

AS: Paula, in deinen Designs spiegelt sich auch eine sonnige Leichtigkeit des Mittelmeer-Lifestyles wider. Wie kamst du zu dieser Inspiration und was fasziniert dich an diesem Lebensgefühl?

PI: Ich verbringe dort immer wieder Zeit, und die Lebensweise am Mittelmeer steht einfach im starken Kontrast zu Berlin. Weiblichkeit wird dort intensiver ausgelebt, regelrecht zelebriert. Es ist eine kraftvolle und selbstbewusste Weiblichkeit. Am Meer, in der Sonne, am Strand wird die Körperlichkeit, das Sinnliche, intensiver erlebt. Man wird von Formen und Farben förmlich überflutet.

AS: Wie verbindest du klassische Qualitätskriterien mit Trendiness in deinen Kollektionen?

PI: Man greift die Trends auf und schafft daraus etwas Eigenes, was im Zeitgeschehen Relevanz hat. Im Design liegt die Aktualität und die Qualität spiegelt sich in der Verarbeitung, den Materialien, Schnitten und der Passform wider. Gerade die Arbeit an den Schnitten und Passformen ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, erfordert aber im Designprozess extrem viel Energie und Zeit, um beides sorgfältig auszufeilen.

AS: Du arbeitest ausschließlich mit nicht-professionellen Models und kollaborierst regelmäßig mit anderen Designlabels. Was möchtest du damit hinsichtlich deines Labels transportieren?

PI: Die Wahl, nicht-professionelle Models einzusetzen, ist integraler Bestandteil meiner Herangehensweise. Sie entstand aus der Überzeugung, dass Authentizität in der Mode nicht nur von vermeintlich perfekt inszenierten Bildern abhängt. Als Designerin wollte ich eine visuelle Identität schaffen, die sich von allzu gängigen Standards abhebt. Die Zusammenarbeit mit nicht-professionellen Models verleiht meinen Kollektionen eine persönlichere Note. Diese Herangehensweise trägt dazu bei, dass mein Label als authentisch wahrgenommen wird und fördert einen kreativen Prozess, der auf Vielfalt und Originalität basiert.

Bei der Arbeit mit der Kamera verleihen diese Frauen meinen Kollektionsteilen auf ihre ganz eigene Art Leben, indem sie ihre Persönlichkeit einbringen. Es ist eine gemeinsame Annäherung an die Motive, bei der die Frauen vor der Kamera oft völlig neue Facetten an sich selbst entdecken. Mode kann also tatsächlich eine selbstermächtigende Wirkung haben!

Kollaborationen mit anderen Labels haben für mich eine besondere Bedeutung. Sie eröffnen neue kreative Perspektiven. Wenn ich ein tolles, überzeugendes Produkt entdecke – warum sollte ich es noch selbst herstellen? In meinem Online-Shop möchte ich Produkte präsentieren, die mich persönlich begeistern. Die Idee dahinter ist auch, wie können wir kleinen Labels uns gegenseitig sichtbarer machen. Es ist spannend, wenn sich die Produkte dann ergänzen. Schliesslich ist es doch so: ein gelungener Look erfordert eine Vielzahl von Elementen – nicht nur Kleidung, sondern auch eine passende Tasche, Schuhe, einen Duft und vieles mehr.

AS: Hinsichtlich deines Produktionsprozesses hast du ein „Made-to-order“-System eingeführt. Kannst du mehr dazu erzählen?

PI: Es gibt einen Prototyp, der wird auf der Website dargestellt und kann dann bestellt werden. Das Kleidungsstück wird nur On-Demand, also nach Bestellung, hergestellt. Das ist eine Manufacturer-To-Customer-Lösung. Die Kleidungsstücke, die stark nachgefragt werden, die werden produziert. Bei diesem Ansatz ist die Nutzerperspektive wichtiger: was nachgefragt wird, wird hergestellt. Der Vorteil daran ist, dass es keine Überproduktion gibt, falls ein Design von den Kund:innen nicht angenommen wird. Das Gleiche betrifft auch das Gradieren (einen Entwurf auf eine andere Kleidergröße zu übertragen). Dieser Arbeitsprozess geschieht dann ebenso auf Nachfrage. Für ein kleines Unternehmen bedeutet diese Vorgehensweise ein Verschlanken der Arbeitsabläufe.

AS: Denkst du, dass du damit einem Trend voraus bist?

PI: Das sehe ich als allgemeine Entwicklung in der Fashion-Industrie. Auch gerade bei den ganz großen Playern wie z.B. Shein ist diese Entwicklung zu beobachten, da wird es weiter hingehen.

AS: Wie grenzt sich dein Label von Fast-Fashion-Mode ab und welche Rolle spielen dabei Aspekte wie lokale Produktion und ökologische Materialien?

PI: Grosse Unternehmen sind bestrebt, effizient zu arbeiten, um hohe Gewinne zu generieren. Problematisch sind jedoch die sozial unverträglichen und umweltschädlichen Folgen dieses Strebens. Insbesondere die enormen Mengen an Kleidung, die auf den Markt gelangen, tragen zu einem hohen Ressourcenverbrauch bei. Diesem Überangebot und dem übermäßigen Konsum müssen wir unbedingt entgegenwirken, um wirklich nachhaltiger zu werden.

Mein Label unterscheidet sich natürlich in erster Linie allein durch seine geringe Größe von der Mainstream-Fashion-Industrie. Ich bewege mich in einer Nische und kann dadurch äußerst flexibel agieren. Die Produktion erfolgt lokal in der Region, was eine kurzfristige Umsetzung von Modellen ermöglicht. Die Stoffproduzenten mit denen ich arbeite, bieten Ihre Stoffe zunehmend mit Öko-Zertifizierung an, was auch ein weiterer Schritt in die richtige Richtung bedeutet.

Leider mache ich mir allerdings zur Zeit noch wenig Hoffnung, dass da ein Umdenken bei den Konsument:innen im großen Stil stattfindet.

AS: Kannst du zum Abschluss noch ein paar Tipps für Konsument:innen geben, den Slow-Fashion-Ansatz in ihrem Alltag zu integrieren?

PI: Ein einfacher Weg, Slow Fashion im Alltag zu leben, ist die kreative Kombination von Kleidungsstücken, um vielfältige Styles zu kreieren. Dabei liegt der Fokus der einzelnen Pieces auf zeitlosem Design und hoher Qualität. Diese Faktoren fördern die Langlebigkeit deiner Kleidung und sind somit gegenüber Fast Fashion im Vorteil.

Es ist auch wichtig, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Schnitte und Stile wirklich zur individuellen Persönlichkeit und Figur passen. Diese bewusste Herangehensweise trägt nicht nur zu einem nachhaltigen Modeverhalten bei, sondern auch zu einem persönlichen Stil, der sich durch Individualität und Langlebigkeit auszeichnet.

AS: Sehr schön und vielen Dank, Paula! So ähnlich hat das auch die Designikone Vivienne Westwood mal auf den Punkt gebracht: „Buy less, choose well, make it last“.

Literatur:
Fletcher, K. (2014). Sustainable fashion and textiles: Design Journeys. Earthscan.

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